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Verlagsstrategie Diversifizierung – Wege aus der Nischenfalle?

Kerstin Wolf

Kerstin Wolf

Lange Zeit haben Fachverlage ihr Heil darin gesucht, ihre Produkte immer spitzer zu vermarkten und noch in die entlegensten Nischen hinein zu entwickeln. Hohe Produktivitätszuwächse durch Automatisierung im Datenworkflow, die Möglichkeiten umfangreicher Zweitverwertungen vorhandener Inhalte und die Durchsetzbarkeit hoher Preise am Markt ermöglichten auch bei geringen Auflagen gute Gewinne. Kalkuliert wurde auf Basis bekannter Druckkosten, Nachdruck-Auflagen konnten marktgerecht geschätzt und kalkuliert werden, selbst für Restlager-Bestände gab es am Ende noch Verwertungsmöglichkeiten. Irgendwann drohte diese Entwicklung aber zu kippen. Wenn sich der fiktive „Leitfaden praktischer Arbeitsschutz für den Friedhofsgärtner“ am Ende doch nur als der 95. Arbeitsschutzratgeber entpuppt, ergänzt um zwei bis drei spezielle Checklisten, dann mag dafür niemand mehr einen besonders hohen Preis bezahlen. Und das schon gar nicht, wenn der Herausgeber des Werkes zugleich Vorsitzender eines Fachverbands ist, der auf seiner Homepage die gleichen Arbeitshilfen kostenlos zum Download bereitstellt. Verlage sind eben schon lange nicht mehr die einzigen Gatekeeper, die exklusiven Zugang zu Fachinformationen bieten. In der Nische ganz spezieller Berufszielgruppen erweist sich nun die Spezialisierung mancher Verlagssegmente durchaus als Falle, spätestens seit es darum geht, das notleidende Printgeschäft durch elektronische Angebote aufzubessern.

Ein Buch ist ein Buch, und zumindest von den Druckkosten her spielt es keine Rolle, ob es ein gutes Buch mit ansprechendem Layout und guter Benutzerführung ist, oder ein schlechtes Buch mit kleinen Buchstaben und fehlenden Randbemerkungen. Wie sieht es aber mit der Online-Ausgabe eines Werkes aus? Die Entwicklungskosten eines Fachportals im Web lassen sich nicht über mehrere „Auflagen“ streuen, und es macht einen erheblichen Unterschied, ob das Webangebot mit nützlichen Features in ansprechendem Design und guter Usability ausgestattet ist, oder nicht. Das hat natürlich seinen Preis, und viele Verlage schrecken vor den nötigen Investitionen zurück, schlicht weil sie nicht wissen, wie sich diese Investition für die schmale Nischen-Zielgruppe rechnet. Die Folge ist, dass diese Investitionen entweder unterbleiben oder so gering ausfallen, dass die Qualität des Webangebots bestenfalls als elektronisches Alibi zur Begleitung des Printprodukts taugt. Wenn sich das am Ende nicht gut verkauft, wird dies womöglich als Beleg dafür gesehen, dass die Zielgruppe eben doch viel lieber beim reinen Printprodukt bleiben mag. Nur dreht man sich so natürlich im Kreis, denn an weiteres Print-Wachstum in noch immer engeren Spezial-Zielgruppen mag so recht auch niemand mehr glauben. Der Ausweg aus diesem Dilemma kann letztlich nur in der Auflösung des werkbezogenen Ansatzes, also in der Aufgabe des reinen Produktdenkens liegen.

Es darf nicht übersehen werden, dass den Nutzern die Größe ihrer „Zielgruppe“ – so wie sie der Verlag definiert und zu der sie sich vielleicht nicht einmal zugehörig fühlen – herzlich egal ist. Ein gutes Buch hat in ihren Augen vielleicht Piktogramme, Kästen, Übersichten, Tabellen – egal ob es davon 500 oder 50.000 Exemplare gibt. Und eine gute Webseite hat im Auge des Betrachters besonders übersichtlich zu sein, sollte eine ausgezeichnete Suche mit Facetten-Navigation, Autosuggest, Fehlertoleranz usw. besitzen, und zwar unabhängig davon, ob es dafür 50 oder 5000 zahlende User gibt. So wie sich für die Verlage die Frage stellt, ob der Nutzen eines elektronischen Fachinformations-Portals die Kosten übersteigt, stellt sich die gleiche Frage natürlich auch den zahlenden Verlagskunden. Die Kunst besteht nun darin, diese Bedürfnisse so individuell wie möglich abzudecken, und gleichzeitig die technische Investition so breit wie möglich aufzustellen. Eine vernünftige Suchmaschine z.B. bleibt ja nicht zwangsläufig auf ein einzelnes Werk bezogen, sondern kann gleichzeitig unterschiedliche Indexe durchsuchen. In dem Beispiel mit dem Friedhofsgärtner könnte der Verlag ein Portal errichten, in dem nicht nur Arbeitsschutz-Themen behandelt werden, sondern alle Themen, die eine Friedhofsgärtnerei interessieren, angefangen von Umweltthemen bis hin zu Betriebswirtschafts- und Steuerfragen. Voraussetzung dafür ist, dass diese Inhalte „werkeübergreifend“ zur Verfügung stehen und möglichst feingliedrig granuliert angeboten werden können und in einer komfortablen Art und Weise ohne umständliche Suche auffindbar sind. Die dazu erforderliche Technologie steht kostengünstig und Open Source-basiert zur Verfügung. SHI leistet hier gerne fachkundige Unterstützung, z.B. durch den Infopilot.

Mindestens ebenso wichtig wir die Frage nach der Technik ist aber die Frage nach dem Geschäftsmodell und den Prozessen in den Verlagen. Wenn der Friedhofsgärtner aus dem Beispiel eine Jahres-Flatrate bezahlt und verschiedene Inhalte aus unterschiedlichen Profit-Centern des Verlages konsumiert, muss dies bspw. verlagsintern verbucht werden können. Und nur weil er Friedhofsgärtner ist, heißt das noch lange nicht, dass er sich stärker für Friedhofsthemen interessiert als z.B. für Personalthemen. Es stellt sich darum die Frage, welcher Produktmanager aus welchem Fachbereich für ihn „zuständig“ ist. Mit der alten Zielgruppen-Organisation vieler Verlage kommt man hier nicht unbedingt weiter. Die Digitalisierung fordert die Verlage deshalb im innersten heraus, ihre gesamten Strukturen neu zu organisieren. Nur so gelingt die unausweichliche Transformation des Fachinformationsgeschäfts in die digitale Zukunft.

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